The heroin house
Als wir bei strahlendem Wetter den Feldweg zu dem außerhalb stehenden Haus
entlang liefen, erwarteten wir eigentlich eine eher unspektakuläre und
durchwühlte Hütte - was es auf den ersten Blick auch war. Bei genauerer
Betrachtung entpuppte sich das Haus jedoch als ein Ort, der unzählige
Fundstücke und Details beherbergte. Anfangs konnten wir uns noch keinen
wirklichen Reim darauf machen, wer hier einst lebte. Kinderspielzeug lag
neben Dingen, die eher zu einer älteren Dame passen würden; die bizarren
und wild gemusterten Wandbemalungen ließen hingegen eher auf eine
Hippie-Kommune schließen. Zimmer für Zimmer erkundeten wir das seltsame
Sammelsurium.
Wir wollten fast schon wieder gehen, als wir auf dem Dachboden schließlich
auf zwei Bücher mit Gedichten und Tagebuch-Eintragungen stießen, welche
das Haus urplötzlich in einem anderen Licht erschienen ließen; und nie
zuvor habe ich mich beim Sichten der Fotos so seltsam gefühlt...
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„Liebe Mama,
ich suche so dringend Trost, jemanden, der für mich da ist und mich
beschützt. Du bist so furchtbar weit weg, kann Dich nicht sehen, auch
nicht fühlen. Kann nur darauf vertrauen und hoffen, daß Dich meine
Gedanken irgendwie erreichen. Wünsche mir, daß Du verzeihen konntest und
mich trotz allem noch lieb hast. Ich sehne mich so sehr nach meiner
Kindheit, nach Papa, als er noch mein Papili war. Nach der Geborgenheit
unserer Familie, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon längst
keine mehr war. Beobachte im Spiegel, wie ich dir immer ähnlicher werde,
nicht nur äußerlich. Fühle mich klein und hilflos, der großen Welt und den
Menschen ausgeliefert. (...) Das Leben macht mich krank und doch weiß ich,
daß ich mein Leben ganz alleine in der Hand habe.
Heute habe ich das 1. Mal Heroin gedrückt. (...) Muß Kraft finden, zu
widerstehen und einen anderen Ausweg zu finden. Hoffe, du hilfst mir ein
wenig dabei.
In Liebe, Deine Tochter“
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„Mein Körper ist einzige große Wunde
alles schmerzt
unfähig, mich zu rühren.
Die Angst, bei jeder Bewegung die Qual vergrößern zu können, lähmt mich.“
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„Ich hasse euch alle,
doch noch mehr hasse ich mich selbst.
„ES“ verändert und manipuliert dich innerlich.
Aggressiv, selbstsüchtig, rücksichtslos. Bin ich das wirklich?
Werde immer egozentrischer, gleichgültiger
stumpfe ab.
Sie können mich in den Staub treten
und auf mir herumtrampeln.
Ich werde zu Dreck
zu einem Seelen- und skrupellosen Stück Fleisch
ohne Identität, ohne Schatten.
Wo sind die Ziele, Träume und Hoffnungen geblieben?
Untergegangen in der Überschwemmung des Verdrängens?
Wo ist die Unschuld?
Abkapslung bis zur wirklichen Isolation.
Schwach, willenlos, gebrochen.
The End?“
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Die Einträge enden im Oktober 1993.
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